Eine Spurensuche und ein Prolog
In der romanhaften Erzählung »Mit dem letzten Schiff« von Evelin Hasler taucht an einer Stelle eine Inge Joseph aus Darmstadt auf, die als Kind nach La Hille und später in das berüchtigte Internierungslager Le Vernet kommt. Ich habe mich sofort gefragt: Ist das nur eine der vielen erfundenen Figuren im Buch oder hat es dieses Mädchen wirklich gegeben?
Und wer war diese Inge Joseph aus Darmstadt?
Ich mache mich auf Spurensuche. Schon eine kurze Recherche im Internet führt mich über die Seite von EHRI auf eine Seite des United States Holocaust Memorial Museums mit biographischen Angaben zu einer Familie Joseph aus Darmstadt und ihrem online zugänglichen Nachlass an Fotos und Dokumenten:
Leonore Gumpert (1922-2008) was born Lieselotte Lina (Lilo) Joseph to Julius Joseph (1885-1959) and Clara Joseph (nee Neu, 1891-1942) and lived with her parents and sister, Inge (1925-1983), in Darmstadt. Julius Joseph was arrested on false charges in 1936, released and escaped to England in 1939, and immigrated to the United States in 1940. Leonore immigrated to the United States in 1938, settling in Chicago. Inge joined a Kindertransport to Brussels in 1939 and stayed with relatives and then in a home for refugee children. When Germany invaded Belgium, Inge was evacuated with the other children to Seyre (Haute Garonne) and then to Chateau la Hille near Pamier (Ariège). She escaped to Switzerland in 1943, immigrated to the United States in 1946, and married Frank Bleier. Clara Joseph (1891-1942) was deported via Piaski to Trawniki and perished.
Inge, Lilo und Mutter Clara Joseph
Die literarische Figur von Eveline Hasler hatte also eine reale Entsprechung.
Wie ich weiter lese, wurde Clara Joseph, die Mutter von Inge, 1942 nach Piaski deportiert und kam in Trawniki um. Aber Inge Joseph überlebte den Holocaust!
Auch bei Wikipedia finde ich schnell einen Eintrag, dass es in Darmstadt einen Stolperstein für Clara Joseph geben soll.
Bei der Suche nach dem Elternhaus von Inge Joseph in Darmstadt gab es allerdings einige Verwirrungen, da ich schon lange nicht mehr im Johannesviertel in Darmstadt war. Ich suchte verzweifelt an der falschen Stelle am Viktoriaplatz, den ich auch erst auf Umwegen fand, und erst nach weiteren, eigentlich ziemlich peinlichen Fehlversuchen fand ich das Haus bzw. den Ort, an dem das Haus einmal stand. Es stand am Alicenplatz und hatte die Adresse Alicestraße 12, wurde im Krieg zerstört, danach abgerissen und durch einen Neubau ersetzt, der heute eine andere Adresse hat. Der Stolperstein war auf der Straße leicht zu entdecken:
Doch die größte Überraschung kam erst später. Auf der Suche nach Inge J. Bleier, so der spätere Ehename von Inge Joseph, wurde ich bei Amazon fündig. Drei Veröffentlichungen von ihr wurden angezeigt, zwei Bücher über Maternity Nursing (Entbindungspflege), eines davon 1984 sogar auf Deutsch erschienen unter dem Titel: Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, und, was mich völlig euphorisierte, eine Biographie mit autobiographischen Anteilen.
Der zweite Autor der Biographie, David E. Gumpert, ist ihr Neffe, der Sohn ihrer Schwester Lilo. Er schrieb das Buch auf der Grundlage eines ursprünglichen Buchentwurfs seiner Tante, der mehr als 60 Seiten umfasste. Das Manuskript fand jedoch 1959 bei amerikanischen Verlegern kein Interesse, da, so hieß es, Anne Franks Tagebuch gerade erschienen und der Markt damit abgedeckt sei.
Weitere Recherchen ergaben schnell, dass das Buch sowohl in der Bibliothek der TU Darmstadt als auch in der Stadtbücherei Darmstadt ausgeliehen werden kann. In der Stadtbücherei habe ich es dann ausgeliehen.
Wer war also Inge Joseph aus Darmstadt? Wer und was brachte sie nach La Hille in Südfrankreich, dem Kinderheim für verfolgte jüdische Kinder? Was hat sie erlebt und vor allem: Wie hat sie überlebt? Und was können wir daraus lernen?
Geduld, liebe Leserinnen und Leser, bald mehr an dieser Stelle. Bleiben Sie dran!
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