Inges Weg im Risoux - Unstimmigkeiten und mögliche Korrekturen

 aktualisiert: 15.6.2025

Die Geschichte von Inge Joseph und ihrer Flucht im Oktober 1943 (die “blonde Inge”) über den Risoux in die Schweiz wird von Anne-Marie Im Hof-Piguet in ihrem Buch S.112f anders als von Inge erzählt.


Laut Anne-Marie Piguet fuhr Inge mit dem Zug von Lyon nicht nach St.Claude sondern nach Champagnole, wo sie von den Schwestern Victoria  und Madeleine Cordier empfangen und in ihr Haus gebracht wurde. Am nächsten Tag ging es mit dem Zug (wohl eher eine Art Lokalbahn) weiter nach Morbier und mit dem Fahrrad zum Haus der Mutter der Schwestern Cordier, die in Chapelle-des-Bois, d.h.im Sperrgebiet wohnt. Wiederum einen Tag später wird Inge von Madeleine Cordier an den steilen Hang des Risoux geführt, den sie überwindet und der sie hoch in die Berge auf Schweizer Gebiet führt. Über die Waldhütte "Hotel d’Italie” geht es auf der Ostseite hinunter nach Le Sentier, dem Elternhaus von Anne-Marie Piguet. 

Der Risoux bzw. Risoud ist eine dichte Waldkette auf dem französisch-schweizerischen Jura bei Lausanne.

Es gibt noch weitere Ungereimtheiten in Inges Bericht: So soll sie sich nach eigenen Angaben zur Hütte “Hotel d’Italie” durchschlagen, um dort einen "Förster" zu treffen. In ihrem Bericht schreibt sie aber später, dass sie ihn beim Überqueren einer Straße an der schweizerisch-französischen Grenze trifft. Gemeint ist wohl eine befestigte Forststraße. Von der Hütte ist dann auch nicht mehr die Rede.

Ob die Fehler schon in Inges Manuskript angelegt waren und auf Erinnerungslücken von Inge J. Bleier beruhen, oder ob dem Bearbeiter David E. Gumpert aus Unkenntnis der Lage vor Ort diese Ungereimtheiten unterlaufen sind, muss offen bleiben.

Ich vertraue mehr Frau Imhof-Piguet, da sie aus der Gegend stammt und ihr die Örtlichkeiten deshalb vertrauter sind als Inge. Sie hat diese Tour vorher ausgekundschaftet und später auch mit anderen Jugendlichen aus La Hille zur Flucht benutzt.
Anne-Marie Piguet beschreibt in ihrem Buch “Fluchtweg durch die Hintertür, a.a.O., S.108 den Fluchtweg wie folgt:
Der Gy de l'Echelle, ein tiefer Einschnitt in den Felswänden, ist nicht weit weg. Hohe Stufen sind in den Fels gehauen, der Pfad ist steil und schmal; mit einer Hand muss man sich am Fels, mit der andern an kleinen Bäumchen festklammern, damit man sich hochziehen kann. Vorsicht: der Fuss darf ja keinen Stein ins Rollen bringen!
Aber der Anstieg ist kurz, und droben winkt die Freiheit,
Auf Schweizergebiet, unweit der Grenze, befindet sich das Hotel d’Italie: ein Waldhaus für Holzfäller. Da erwarten uns die Schweizer.
Außerdem wohnten die Schwestern Cordier definitiv nicht in St.Claude, sondern in Champagnole. 

Edith Goldapper aus La Hille nahm am 12. Dezember 1943 den gleichen beschwerlichen Weg und beschreibt ihn in ihrem Tagebuch: Diary of The Holocaust 1943-1944 auf Seite 78ff ebenfalls anders wie Inge Joseph. Allerdings ist sie auch erstaunlich schnell an der Hütte Hotel d'Italie angekommen. Sie spricht sogar davon, dass sie kurz nach dem Überschreiten der Grenze die Hütte gesehen habe. Das kann aber nicht sein, da es von der Grenze bis zur Hütte ca. 1 km ist.

Eigentlich müsste ich hier auch die heroische Geschichte der Familie Piguet (der Name ist in der Gegend am schweizerischen Risoux nicht gerade selten - es gibt da eine weltbekannte Edel-Uhrenmarke...) und der (katholischen!) Helferfamilie Cordier hinzufügen. Ohne sie wäre es kaum möglich gewesen, dass so viele Jugendliche aus La Hille in die Schweiz flüchten konnten, entgegen dem ausdrücklichen politischen Willen der Schweizer Bundesregierung. Zur Familie Cordier aus Chapelle-Des-Bois gibt es eine Website auf Französisch, die sich mit Hilfe von Google oder Deeple aber leicht übersetzen lässt. Bei weitergehendem Interesse können die in meinem Text eingefügten Verlinkungen der Namen der einzelnen Familienmitglieder die Recherche sicher erleichtern.


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